Ein brillanter Geist als Mentor der Anna Knittel
In der 2. Folge meines Blogs anlässlich der Neuverfilmung der ‚Geierwally‘ möchte ich jenen Mentor vorstellen, der die Malerkarriere von Anna Knittel angestoßen hatte. Sein Name: Anton Falger. Er war es auch, der die junge Frau motivierte, ihre Erlebnisse beim Abstieg in den Adlerhorst im Madautal schriftlich niederzulegen. Der brillante Geist hat damit indirekt (und mit Sicherheit unabsichtlich) dafür gesorgt, dass Anna Knittel als ‚Geierwally‘ weltberühmt geworden ist.
Am Beginn der Künstlerkarriere der jungen Anna Knittel stand ein genialer Mensch, dessen Namen im Lechtal auch heute noch mit größter Hochachtung ausgesprochen wird: Anton Falger. Der Lithograph, Kupfer- und Kartenstecher, Künstler und Kunstsammler, Geologe und akkurate Archivar des Tales wird als ‚Vater des Lechtales‘ verehrt. Seinem Wissen und Können ist es zu danken, dass er die Begabung der jungen Anna Knittel sofort erkannte und massiv förderte. Denn der große Lechtaler betrieb Mitte des 19. Jahrhunderts in Elbigenalp eine Malschule. Wer jetzt an die Schnitzschule in Elbigenalp denkt ist richtig: Falger stand an der Wiege dieser wichtigen Tiroler Künstlerschule. Und ohne ihn gäbe es eines der schönsten und bemerkenswertesten kleinen Museen unseres Landes nicht, die ‚Wunderkammer‘ in Elbigenalp.
Anton Falger: ein Mann von Welt
Das Talent des am 9. Februar 1791 in Elbigenalp in eine Bäckerfamilie hineingeborenen Anton Falger offenbarte sich schon früh in seinem Leben. Bereits im Alter von 15 Jahren begann der begabte Zeichner eine Lehre als Kirchenmaler. Ab 1808 genoss er eine Ausbildung an der Münchener Akademie der Bildenden Künste. 1809/10 schloss er sich dem bayerischen Landsturm an, der bekanntlich mit Napoleon kämpfte. „Gott bewahre uns von Revolution und Bürgerkriege, das elendste von allem Elend“ vertraute er seinem Tagebuch an.

Falger war auf Seiten der Bayern direkt in die Kämpfe der napoleonischen Kriege involviert. Er hat eine ganze Reihe von Schlachtszenen gezeichnet. Dieses Bild zeigt die Kämpfe an der Innsbrucker Innbrücke am 12. April 1809 und ist nach einer Vorlage von Placidus Altmutter gefertigt. ©Wunderkammer Elbigenalp

Auch die Kämpfe am Berg Isel beschäftigten den Maler in Anton Falger. Hier die Schlacht am Berg Isel am 13. August 1809, wiederum nach einer Vorlage von Placidus Altmutter. ©Wunderkammer Elbigenalp
Ab 1810 wurde er als Graveur in der bayerischen Steuer-Kataster-Kommission angestellt, die Landkarten fertigte. Zwischen 1813 und 1815 nahm er als Unteroffizier an den napoleonischen Kriegen und an Schlachten teil, die ihn bis nach Paris führten und die er später in Zeichnungen festhielt. Er zog am 1. April 1814 mit bayerischen Truppen sogar in Paris ein, „einer der merkwürdigsten Tage meines Lebens“, wie es Falger in seinen Erinnerungen ausdrückte.

Die Schlacht bei Hanau beschäftigte Falger auch als Künstler. Hier eine Darstellung dieser Schlacht. ©Wunderkammer Elbigenalp
Goethe lobt Anton Falger
Nach Napoleons Niederlage lebte er wieder in München und gehörte zum Freundeskreis um Alois Senefelder, dem Erfinder des damals revolutionären Steindrucks, der Lithographie. Falger war mit Sicherheit einer der ersten wahren ‚Meister‘ in der Anwendung der Lithographie. Ein Umstand, der ihm im damaligen Deutschland zu einiger Bekanntheit verhalf. Er wurde – vermutlich auch mit großzügigen Gehaltsangeboten – nach Weimar gelockt, um dort eine Lithographie-Werkstatt aufzubauen. Dabei lernte er auch den Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe kennen. Goethe schätzte die Arbeit des großen Meisters aus dem Lechtal offenbar sehr. Er verewigte ihn sogar in seinen Werks-Gesamtausgaben. Falger schildert die unten abgebildete Druckgrafik in seinen Lebenserinnerungen so: „Dies ist ein Blatt aus dem großen Werk Genera et Species Palmarum v. Hofrath v. Martinus, wozu ich in München viele Blätter in Stein gravierte, und dieses große Werk von Dichter Goethe, in Weimar so gut gefallen, dass er mich in seinem Werke im 36. Band Seite 185 (in der 46 bändige Ausgabe) erwähnte oder auch im 32. and, den 36 Band ausgaben ein 32 Bändchen, Seite 106 zu finden ist.“

Ein Workoholic der reinsten Art
1821 kehrte Falger nach München zurück und war dort als Lithograph tätig. Im Jahre 1831 beschloss er, in sein Tal zurück zu kehren. Er lebte und arbeitete fortan in Elbigenalp. Ich habe mich gefragt, wie er das schaffte, mit 40 Jahren quasi in Pension zu gehen. Gab es doch damals weder ein Pensionssystem noch Lebensversicherungen, die man sich hätte auszahlen lassen können. Aber klar: einerseits stammte Falger aus einem bürgerlichen Elternhaus, andererseits verdiente er als Steindrucker ordentliches Geld. Ein Tagebucheintrag gibt Hinweise darauf: Allein in seiner Zeit in Weimar vom 5. März 1819 bis 12. 10. 1821, also in zweieinhalb Jahren hatte er „3660 fl (Gulden) verdient, Ausgaben circa 320 fl. Seine 10 Jahre als Lithograph in München dürften finanziell ähnlich erfolgreich gewesen sein. Zum Vergleich: Ein großer Hausbau kostete damals im Lechtal rund 1.600 Gulden. Da war also beträchtlich ‚pekuniäres Fleisch am Knochen‘ Falgers.

Anton Falger kartierte, sammelte, zeichnete und interpretierte eigentlich alles, was ’sein‘ Lechtal bot. Hier sind zum Beispiel Insekten in Skizzen dargestellt, die er in allen Details zeichnerisch festgehalten hatte. Und daneben wirkte er als Volksaufklärer über die Giftpflanzen seiner Heimat, die er auf einem Informationsplakat festhielt und dieses selbstverständlich per Steindruck verviefältigte. Ein Bruchteil dessen, was er alles grafisch dargestellt hat. ©Wunderkammer Elbigenalp
In Elbigenalp unterhielt er eine Zeichenschule, die Vorläuferin der Fachschule für Kunsthandwerk und Design des Ortes. Er widmete sich allen vorstellbaren Studien. Für mich ist es unglaublich, welchen Arbeitsumfang Falger im Lechtal entwickelte. Es ist dem viel zu früh verstorbenen Mag. Reinhard Schlichtherle zu danken, dass er die riesige Menge an Aufzeichnungen, Lithographien, Gemälde und Naturstudien dieses Geistesmenschen in einer Veröffentlichung der Wunderkammer Elbigenalp zusammen fasste. „Notizen über Lechthal“ vermittelt einen Eindruck, was Falger als Gelehrter, Künstler und Sammler für das Tal geleistet hatte. Das Buch ist in der Wunderkammer in Elbigenalp käuflich zu erwerben.

1861 fertigte die hochbegabte Anna Knittel diese Lothographie des von ihr verehrten Lehrers Anton Falger an.
Neben der Schaffung von Bildserien mit Darstellungen des Totentanzes, Forschungsarbeiten samt Illustrationen über die lokale Fauna und Flora, die Geologie des Lechtales, die Grundverhältnisse in seinem Heimatort oder die Beschreibung der zerstörerischen Bahnen von Lawinen und Muren widmete er sich vor allem um den künstlerischen Nachwuchs Elbigenalps in seiner Zeichenschule. Und so war er es auch, der das Talent der jungen Anna Knittel entdeckte.
Anna Knittel in Falgers Zeichenschule
„Nun hatte unser Vater von unseren Zeichnungen dem Herrn Falger gezeigt, der hatte eine große Meinung von meinem Talent, und veranlasste unseren Vater, dass ich an Ferialtagen in seine Zeichenschule komme, da er jeden Winter an begabte Knaben unentgeltlich Unterricht erteilte“, schildert Anna Knittel die Anfänge ihrer Künstlerkarriere. Sie meinte anfänglich gar, dass ihre Schwester ‚Honnele’ begabter als sie sei.

Die Heirat mit Theres Seep war der eigentliche Grund, weshalb sich Anton Falger nach Elbigenalp zurückzog. Auch diese Lithographie aus dem Jahre 1861 stammt von Anna Knittel. ©Wunderkammer Elbigenalp
Weshalb ein Bauer und Büchsenmacher aus dem Lechtal die künstlerischen Ambitionen seiner Tochter förderte? Die Antwort gibt Nina Stainer, eine Nachfahrin Annas in ihrem Werk „Anna Stainer-Knittel, Malerin“: „Ganz einfach: Kunst und Kunsthandwerk waren seit mehreren Generationen in der Familie Knittel verankert. Ein Großonkel von Anna war der renommierte Landschaftsmaler Joseph Anton Koch, ihr Onkel Josef Aloys Knittel war Bildhauer in Freiburg.“

Ausbildung in München
Anton Falger war von Annas Talenten so überzeugt, dass er ihr einen Platz in einer Vorschule der Münchener Kunstakademie besorgte und sogar ihre Ausbildung finanzierte. Frauen war es damals nicht möglich, sich in der Kunstakademie einzuschreiben. Sie studierte bei damals renommierten Lehrern und lernte dabei Berühmtheiten wie Moritz von Schwind, Joseph Anton Schwarzmann oder Mathias Schmid kennen. Ende 1861 kehrte sie nach Elbigenalp zurück und hoffte, auf ihrem Spezialgebiet der Porträtmalerei Geld verdienen zu können.

Als Geier und Adler noch erklärte Feinde der Almbauern waren
Das Jahr 1862 sollte dann aber das Jahr der Anna Knittel werden. Neben der Haus- und Feldarbeit widmete sie sich Studien mit einem einzigen Ziel: nach Innsbruck zu ziehen um dort beruflich Fuß zu fassen. Als ihr Vater, als Büchsenmacher – logischerweise auch ein begeistertet Jäger – schon zum zweiten Mal ein Adlernest im Saxergwänd entdeckte, in das die Adler Nestreisig einflogen, war quasi Feuer am Dach. Die Lämmer in der nahegelegenen Saxeralm waren gefährdet, also musste wieder wie fünf Jahre zuvor das Adlerjunge aus dem Nest geholt werden. Vor allem auch, weil es weder dem Vater noch Annas Bruder gelang, den Adler im Nest zu ‚erschießen‘, wie ihnen das vor der ersten Bergung Annas fünf Jahre zuvor geschah. Dieses Mal beginnt jedoch eine Saga, die sich schon bald zu einem neuzeitlichen Mythos entwickeln sollte. Der den Mut und die Entschlossenheit der jungen Anna Knittel preist aber gleichzeitig von ihrem eigentlichen Können und ihrer wahren Berufung ablenkt.

Die Saxeralm im Madautal. ©Lechtal Tourismus
Wie aber konnte aus einem ein lokalen Ereignis überhaupt eine Art Heldensaga werden, in der zudem eine Frau die Hauptrolle spielte? Die Grundlagen dazu schuf einer der großen deutschen ‚Reiseschriftsteller‘, Ludwig Steub. Er bereiste schon einige Jahre lang zu Fuß Tirol um das Land im Gebirge zu beschreiben. In diesem Zusammenhang besuchte er den allerorts geschätzten Anton Falger im Lechtal. Steub hatte vermutlich aus einem Zeitungsartikel erfahren, dass ein junges Mädchen außerordentlichen Mut bewiesen hatte, in dem es sich in einen Adlerhorst hatte abseilen lassen. Worauf er Anton Falger bat, seine Schülerin zu bitten, eine eigenhändige Darstellung ihrer ‚Tat‘ zu verfassen. Was Anna Knittel denn auch tat. Der Rest ist eine wahrhaft sensationelle Geschichte, die ich im nächsten Blog erzählen werde.

Autor
Werner Kräutler
Werner Kräutler