GEIERWALLY

Der Mythos

Damals gewagt, heute bedeutend.

MYTHOS

ENTSTEHUNG

Zwischen Wahrheit und Legende, inmitten der wilden Tiroler Bergwelt enstand ein Mythos, der weit über das Lechtal hinaus Wirkung entfalten sollte. Geierwally, die Frau, die sich über Konventionen hinwegsetzte, in einen Adlerhorst stieg, um ihn auszunehmen und sich mit unerschütterlichem Mut gegen jede Form der Bevormundung auflehnte.

Der Ursprung dieses Mythos ist realer, als viele glauben. Er geht auf die Tiroler Malerin Anna Stainer-Knittel (1841–1915) zurück, die sich nicht nur als Künstlerin, sondern auch durch eine spektakuläre Mutprobe in die Geschichte einschrieb. In jungen Jahren ließ sich Anna in eine senkrechte Felswand hinabseilen, um einen jungen Adler zu bergen. Der Vater, selbst leidenschaftlicher Jäger, hatte kürzlich vorher den Altadler erlegt, um nahegelegene Tierherden zu schützen. Für die gefährliche Unternehmung, das Jungtier zu bergen, konnte sich kein Mann finden lassen, denn bei einer selbigen Aktion kurz zuvor entkam ein Mann gerade noch mit seinem Leben. Somit meldete sich Anna, und tat es noch ein zweites Mal, Jahre später.
Mathias Schmid Illustration zu "Das Annele im Adlerhorst", 1863
Diese waghalsige Tat fand zunächst nur mündlich Verbreitung, wurde aber schließlich von dem bayerischen Reiseschriftsteller Ludwig Steub im Jahre 1863 aufgegriffen, der mit seiner Erzählung „Das Annele im Adlerhorst“ der jungen Frau ein literarisches Denkmal setzte, mit einem Tonfall, der Anna selbst fast zu pathetisch erschien. In ihren eigenen Erinnerungen erwähnt Anna dieses Ereignis jedoch nur beiläufig.
Doch Steubs Essay legte den Grundstein für eine viel größere Geschichte. Die Autorin Wilhelmine von Hillern ließ sich davon inspirieren und verfasste im Jahr 1875 den Roman „Die Geier-Wally“, der rasch zu einem Bestseller wurde. Der Name „Geierwally" entstand aus einer Vermischung der damaligen Greifvogelbezeichnung (früher nannte man im Volksmund größere Vögel schlichtweg Geier) und ihrem Spitznamen Wally (abgeleteitet von Wallburger).

Die Handlung ist jedoch nur in einigen wenigen Motiven an das wahre
Leben Anna Stainer-Knittels angelehnt. Beiden Frauen, Anna und der literarischen Figur Walburger Stromminger alias Geierwally, verbindet jene Willensstärker und jener Eifer, der sie dazu veranlasst, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen, sei es bei der Berufswahl oder auch bei der Wahl des Gatten. Symbol des freien Willens ist jeweils das Ausheben des Adlerhorstes und es markiert den Moment der Befreiung.
GEIERWALLY AUF DER OPERNBÜHNE: "LA WALLY" VON ALFREDO CATALANI

Dass die Geschichte der Geierwally weit über die Grenzen Tirols hinausstrahlte, zeigt sich nicht nur in Literatur und Film, sondern auch in der Welt der Oper. Im Jahr 1892 feierte „La Wally“, eine Oper in vier Akten von Alfredo Catalani basierend auf Hillerns Roman, an der Mailänder Scala Premiere.

Catalani fokussiert sich in seiner musikalischen Adaption auf das innere Drama, die tragische Liebe und die existenzielle Zerrissenheit der Heldin. Wally wird zur romantischen Figur, die sich zwischen Herz, Stolz und Freiheitsdrang zerreibt. Eine Frau, die nicht nur gegen äußere Umstände kämpft, sondern auch gegen die Tiefe ihrer eigenen Gefühle. Berühmt wurde vor allem die Arie „Ebben? Ne andrò lontana“ aus dem ersten Akt, ein ergreifender Gesang über Abschied, Sehnsucht und Selbstverwirklichung. Diese Arie fand auch Eingang in die Popkultur, etwa im Soundtrack des Films Diva (1981) und als Coverversion in der Musik von Sarah Brightman oder Josh Groban.

Bis heute wird die Oper weltweit aufgeführt und ist ein weiterer Beleg dafür, dass Wallys Geschichte universelle Themen berührt.
WAS MACHT DIESEN MYTHOS SO BESONDERS?

Die Figur der Geierwally ist weit mehr als eine alpine Heldin, sie ist Projektionsfläche für zeitlose Fragen wie:
Wie weit darf Selbstbestimmung gehen?
Was bedeutet es, sich der Gesellschaft zu widersetzen?
Wie tief kann eine Verbindung zur Natur wirklich sein?
Wally steht für all das, was Frauen über Generationen hinweg oft verwehrt blieb: Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit und innere Stärke. In einer Welt, in der weibliches Handeln oft still oder subtil bleiben musste, wird Wally zur lauten, kompromisslosen Stimme. Sie widersetzt sich der arrangierten Ehe, kämpft gegen patriarchale Strukturen und zieht sich in die Einsamkeit der Natur zurück; nicht aus Flucht, sondern aus Konsequenz. Ihre Bindung zum Adler, zur Felswand und zur Wildnis ist dabei kein romantisches Bild, sondern Ausdruck einer tiefen inneren Haltung: Wildheit als Identität und Freiheit als Notwendigkeit.
WAS BEDEUTET GEIERWALLY AKTUELL IN UNSERER GESELLSCHAFT?

Die Geschichte der Geierwally ist aktueller denn je. In einer Zeit, in der Fragen rund um weibliche Emanzipation, Rollenbilder, Naturverbundenheit und kulturelle Identität im gesellschaftlichen Diskurs neu reflektiert werden, trifft Wally einen Nerv. Sie ist kein nostalgisches Relikt, sie ist eine Vordenkerin des 21. Jahrhunderts, geboren im 19. In Debatten um Geschlechtergerechtigkeit wird Wally zur Figur des Empowerments. Sie steht für den Mut, selbst zu wählen wen man liebt, wie man lebt und wohin man geht. In einer Zeit ökologischer Krisen erinnert sie an eine verloren gegangene Nähe zur Natur. Wally lebt nicht gegen, sondern mit der Wildnis. In einer globalisierten Welt, in der Heimat oft zur Floskel verkommt, ist sie Symbol für tiefe Verwurzelung und zugleich radikale Freiheit.
Die Geschichte der Geierwally erzählt von einer Frau, die damals nicht wusste, dass ihr Mut einmal zum Mythos werden würde.

RADIOWISSEN

DER ROMAN ALS VORLAGE

Wilhermine von Hillern verarbeitete die Erzählung 1873 in einen dramatischen Heimatroman der mehrfach verfilmt wurde und der auch zahlreiche Theateradaptionen erfuhr.

Geierwally ist eine Romanfigur.

Walburga „Wally“ Stromminger.

Romanhandlung im Ötztal angesiedelt.

Mutter früh verstorben, einziges Kind des Höchstbauern.

Lebt mit ihrem geliebten Geier.

Unnahbares Mannweib, wild und frei.

Bricht Kontakt mit dem Vater, der den von ihr erwählten „Bärenjoseph“ als Schwiegersohn ablehnt.

Lebt als Einsiedlerin auf der Alm, unbeugsam, stolz und treu.

Nach vielen Turbulenzen finden Geierwally und Bärenjospeh schließlich zusammen.

FILME

„Die Geierwally“ wurde insgesamt mindestens siebenmal verfilmt. Die Verfilmungen reichen von der Stummfilmzeit bis in die 2000er-Jahre und zeigen, wie stark der Stoff aus dem gleichnamigen Roman von Wilhelmine von Hillern (1873) das deutschsprachige Kino geprägt hat.

1921
Die erste Verfilung mit Henny Porten war ein Stummfilm und gilt als Klassiker des frühen deutschen Kinos. Porten etablierte „Die Geierwally“ als bedeutendes literarisches Drama im Kino.

1940
Der erste Tonfilm kam um 1930 unter Regie von Hans Steinhoff zum sehen. 1940 folgte die Steinhoff Version mit Heidemarie Hatheyer in der Hauptrolle als aufwändige NS-Zeit-Produktion. Die historische Verfilmung mit Hatheyer hatte ein Produktionsbudget von rund 1,7 Millionen Reichsmark und wurde ein klarer komerzieller Erfolg.

1956
durfte Barbara Rütting die Hauptrolle verkörpern und überzeugte im Heimatfilm-Stil der 50er Jahre. Sie gilt als solide Vertiefung des Heimatfilm-Genres, lief als erste Farbversion in Deutschland und Österreich und wurde später als Video verbreitet, konnte aber in ihrer Bedeutung nicht an ihre Vorgängerin heranreichen.

1988
Walter Bockmayers Geierwally ist eine Parodie der 80er Jahre. Bewusst satirisch und grell polarisiert sie bis heute als Kultobjekt, wurde aber nicht als ernsthafte Filmversion verstanden.

2005
Erst die TV-Neuverfilmung mit Christine Neubauer im Jahr 2005 ist als moderne Heimatfilm-Adaption zu sehen. Die fünfte ernsthafte Umsetzung des Romans wurde als TV-Heimatfilm angelegt, bekam aber durchaus schlechte Kritiken.

Weniger bekannt ist die französisch-italienische Version als freie Adaption unter internationalem Titel „La Louve blanche“.